Jens Mattern Jens Mattern
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„Sicherheit“, „sicher“, „sicherer“
Wahlkampf in der schwedischen Provinz

„Schweden soll wieder großartig werden!” Mit diesem Trump-Spruch bringt ein Mann mit kurz geschorenem Bart und akkurat nach hinten gekämmten glatten Haaren die über 200 Zuschauer hinter der Absperrung zum begeisterten Klatschen.
„Nicht etwa halbgroßartig, sondern großartig!“ ergänzt er an diesem sonnigen Spätsommerabend auf der kleinen Bühne im „Sveapark“ der Provinzstadt Örebro.
Es ist Wahlkampf. Am 11. September werden die schwedischen Wahlberechtigten über eine neue Regierung entscheiden. Jimmie Akesson, Parteichef der rechten Schwedendemokraten lädt in mehreren Städten zum „Volksfest“. In Örebro hat eine Band das Königreich gepriesen, musikalisch irgendwo zwischen Schunkelschlager und Deep Purple angesiedelt, die Europarlamentarierin Jessica Ruge vor muslimischen Pflegekräften ohne Sprachkenntnisse und Windkraftanlagen ohne Wind gewarnt.
Der 43-jährige Akesson, ist der Hoffnungsträger der Menschen, die die Fähnchen mit dem Partei-Leberblümchen in der Hand halten, zumeist Männer, etwas älter, welchen man ansieht, dass sie nicht zu den Besserverdienern gehören.
Benzin- und Strompreise würden gesenkt, hier gibt es großen Applaus, ja zur Atomkraft, mehr Wohlfahrt. „Schweden zuerst“
Und: kriminelle Ausländer in die Gefängnisse ihrer Herkunftsländer abschieben. Die Kriege von kriminellen Gangs, welche ihre Auseinandersetzungen um Drogenreviere mit Schusswaffen austragen, sind das Wahlkampfthema Nummer eins, das Land scheint stark verunsichert.
Örebro wurde im April durch Krawalle im Sveapark erschüttert, da der dänische Islamfeind Rasmus Paludan einen Koran anzündetet, 45 Polizisten wurden verletzt. Darum Akessons Ortswahl.
Vier Menschen kamen dieses Jahr in Örebro, dass sich nach dem Fremdenverkehrsamt „Im Herzen Schwedens“ befindet durch Schießereien ums Leben. Landesweit werden 46 Tote gezählt.
„Sicherheit“, „sicher“, „sicherer“ – keine Partei mag ohne dieses Versprechen auf ihren Wahlplakate auskommen, die sich in Örebro mit seinen 120 000 Einwohnern verteilen.
Durch die Gewalttaten, die Banden bestehen vornehmlich aus Menschen mit Migrationshintergrund, haben die Schwedendemokraten landesweit an Stimmen gewonnen, mit über 20 Prozent sind sie in den Umfragen die Nummer zwei hinter den Sozialdemokraten mit 29 Prozent.
„Dieses Land befindet sich in einem tiefen Verfall.“ so Jan Myrdal, der zu den Zuschauern gehört, ein ehemaliger Betriebsleiter. Gelder würden verschwendet, er habe sein ganzes Land viel gearbeitet.
„Die Schießereien müssen aufhören“, so die Schüler Karl und Mats, die Schwedendemokraten sollen endlich Einfluss nehmen.
Dass der rechte Politiker nicht die großen Massen mit seinem Volksfest anzieht, liegt daran, dass die Partei mit ihren Wurzeln in der Neonazi-Szene eigentlich als nicht regierungsfähig gilt, wenn auch Akesson seit 2006 um ein bürgerliches Ansehen bemüht ist.
Nun will Ulf Kristersson, der Chef der bürgerlichen „Moderaten“, im Parlament Nummer zwei, in Umfragen Nummer drei, mit den Kleinparteien „Die Christdemokraten“ und „Die Liberalen“ regieren und sich von den Schwedendemokraten tolerieren lassen.
Die Wahl im Königreich ist somit auch eine Entscheidung, den Rechten Einfluss zu zugestehen oder nicht.
Gleichzeitig ist der Druck stark, Lösungen zu präsentieren.
„Wir investieren eine Milliarde (umgerechnet 94 Millionen Euro) für die Sicherheit in Örebro“ verspricht darum der Vorsitzende (Entsprechung zum Bürgermeister) der Kommune John Johanssen auf den Wahlplakaten.
Vor dem Rathaus hat jede der acht Parlamentsparteien hat ein kleines Häuschen aufgebaut. Gerade sind viele Schüler an diesem Vormittag unterwegs, viele mit Migrationshintergrund, die höflich ihre notierten Fragen stellen und höfliche Antworten bekommen. Typisch schwedisch.
Bei den Sozialdemokraten fällt auf, dass allein alte Menschen Wahlkampf betreiben, zwei sind auf Rollatoren gestützt. „Vom Staat, von den Steuern“ heisst dort die Antwort auf die Frage, woher die Milliarde für die Sicherheit kommen soll.
„Wir hatten acht Jahre eine sozialdemokratische Regierung, jedoch kein sozialdemokratisches Budget “ erläutert Kent Vallén, ein pensionierter Hochschuldozent. Ein Verweis auf das Agieren als Minderheitsregierung, das Rücksicht auf die wirtschaftsliberale Zentrumspartei nehmen musste.
„Mehr Jobs, die Menschen müssen schneller Schwedisch lernen“, das hält die Sozialdemokratin Sigbritt Sunding für wichtig, um die „Segregation“ aufzulösen, das Wohnen der Migranten in separaten Stadtteilen. Sie selbst war beruflich im Sozialen Wohnungsbau unterwegs. Bei ihrer Partei wir die Idee der Umsiedlung diskutiert, Zwang würde sie jedoch ablehnen.
In Örebro jedenfalls gilt der Stadtteil Vivalla im Nordwesten als berüchtigt. Mit seinen offiziell 7000 Einwohnern ist er eines der 19 „besonders betroffenen Gebieten“ landesweit, ein Polizeiterminus, manche sagen Ghetto dazu.
Auf dem Weg dorthin fährt der Bus Nr 2 durch ein besseres Viertel, vorbei an schwedischen Villen in Holz vorbei, gelb oder kupferrot gestrichen, mit schwer beladenen Apfelbäumen in den Gärten.
An der Haltestation Vivalla Centrum steigen dann vornehmlich Menschen schwarzafrikanischer Herkunft aus. Die Siedlung aus den Sechziger Jahren besteht aus Flachbauten, wirkt sauber und nicht bedrohlich. Auf den ersten Blick. Ein junger Mann mit Sonnenbrille und teuren Nike Air Max Sneakers steht vor einem Wohnhaus und verhandelt über das Smartphone in englischer Sprache. Mitglied einer der Gangs? Zumindest hier und aus anderen Vororten rekrutieren die rund 12 Banden ihr Personal. Die Eindämmung der Kriminalität in solchen Orte ist das verzweifelte Versprechen aller Parteien.
Auf Parteien baut Jonas Mesmer nicht, der gerade drei seiner Kinder beim Schaukeln auf dem Spielplatz hilft.
„Die Menschen hier sollen viel schneller ins Arbeitsleben.“ so Mesmer, der mit fünf Jahren aus Eritrea nach Schweden kam.
Der Familienvater glaubt, dass Sprachenerlernen entscheidend sei, das für den Arbeitsbeginn notwendige Schwedisch-Zertifikat „SFI“, an dem viele in Vivalla scheiterten, wäre jedoch realitätsfern.
„Das hier viele keinen Job bekommen, macht die Leute verzweifelt, so bekommen die Banden Zulauf.“ Kontakte seien alles in Schweden, seine Schulkameraden mit „schwedischem Hintergrund“ hätten darum sofort eine Ausbildung bekommen.
Er selbst habe sich vom Schweißer zum Programmierer hochgearbeitet und leite nun eine Arbeitsvermittlung.
„Um so mehr Erfolg in der Schule, um so stärker die Perspektive einen Job zu finden, um so schwächer wird die Zugkraft Mitglieder der Gangs, deren Mitglieder mit neuen Smartphones und Schuhen locken“ betont Thomas Gustafsson, der in einem Raum der Vivalla-Schule empfängt. Der ehemalige Lehrer arbeitet nun für das kommunale Projekt „Partnerschaft Örebro“ und leitet die Zusammenarbeit mit der Polizei, Lehrern, Sozialarbeitern, Medizinpersonal. Zuviel Bürokratie, typisch für Schweden, werde vermieden, es gebe schnelle Wege des Austausches und des Handelns.
Der 63-jährige tritt kraftvoll auf, scheint gewohnt mit Überzeugung zu sprechen.
Überzeugungskraft wird auch gebraucht. Bis runter zum achten Lebensjahr werden mittlerweile Kinder von den Kriminellen in Schweden „rekrutiert“, um sich als Drogenkurier zu verdingen.
„Polizeiliche Videoüberwachung“ steht wohl auch aus diesem Grund auf einem kleinem Schild draußen vor dem Schulhof. Das Schild ist neu.
„Videoüberwachung - das wäre vor sechs Jahren noch undenkbar gewesen“, so Mattias Forssten, Chef der Lokalpolizei in Örebro, der in der Zentrale in der Stadtmitte empfängt.
Vieles habe sich verändert, alle Parteien fragten die Polizei nun, was sie brauchte, das Personal werde aufgestockt - egal, wer am 11. September gewinnt.
Der 43-jährige Beamte betont Erfolge – viele Waffen und Drogen seien in der letzten Zeit beschlagnahmt worden, die Gefängnisse gut belegt, die bis zu 300 Mitglieder der Banden wohlbekannt, man arbeite viel mit verdeckter Ermittlung.
Dass es ruhiger in Vivalla geworden ist, kann jedoch auch als Wirkung der Segregation gesehen werden – der Stadtteil ist somalisch dominiert, andere Ethnien, mit denen früher Konflikte ausgetragen wurden, seien in andere Stadtteile abgewandert.
„Es gibt keine einfache Lösung“, so hört man von Behörden und Politikern in Örebro; nur die Schwedendemokraten denken da radikaler.

Größere Version, publiziert Anfang September 2022 in Frankfurter Rundschau, Kurier
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