Jens Mattern Jens Mattern
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Auch von Neutralisieren war die Rede
Warschau zu Beginn der russischen Invasion
In einem Waffenladen im Süden von Warschau nimmt ein Verkäufer die Pistolen von der Präsentierwand, ein Trommelrevolver liegt noch auf der Theke, bald ist Feierabend. „Colt?“ fragt der Reporter. „Remington“ korrigiert der Verkäufer mit einem bunt tätowierten Arm.
Ansonsten ist man gegenüber Journalisten nicht wirklich gesprächig.
„Wir haben Erfahrungen gemacht, dass man uns das Wort verdreht.“ so ein Herr mit akkurat gescheiteltem schütterem Haar und gerahmter Pilotenbrille
Doch der Verkauf von Schusswaffen ist letztens angestiegen, das wird eingestanden: „Das ist doch schlüssig, wir haben einen Mörder auf der anderen Seite der Grenze.“
Mittlerweile glauben dreißig Prozent der Polen, dass sich Wladimir Putin für einen Angriff auf ihr Land entscheidet.
Für den Erwerb einer Waffe für „sportliche Zwecke“ in diesem Geschäft bedarf es nachgewiesener Praxis, Zertifikate sowie ein paar Tests, darunter eines psychologischen.
Doch einfach mal Schießen ist einfacher.
Tomasz und Piotr, zwei Mittdreißiger aus Warschau haben zum ersten Mal in ihrem Leben eine Waffen in der Hand, begonnen wird mit der Pistole und der Nahdistanz, zum Schluss überreicht ihnen “Instruktor“ Pawel Zbiora die Kalaschnikow.
Laden, Entsichern, Zielen, den Zeigefinger langsam auf die Abzugszunge drücken – um den Angreifer mit Hut und Pistole auf dem Papier mittig zu treffen, dessen Distanz mittels einer Schiene im Schießraum weit nach hinten gefahren wurde.
Es knallt gehörig, trotz Gehörschutz.
Zbiora, ein untersetzter Mann mit grauen Haaren, bespricht und kritisiert die Treffer, „Rechtsdrall“, „hier war Ihre Schulter nicht fest am Kolben“ und ist sonst zufrieden.
„Zum Spass sind wir hier, aber auch wegen der Situation in der Ukraine“ meinen beide, die ihr Schießblatt mit den Kugelschreibernotizen des Experten nach Hause nehmen.
„Nach der Invasion war es hier für einen Monat ausgebucht, nun ist es etwas entspannter, aber es ist klar, die Menschen haben Angst“, so ein weiterer Instruktor, ein junge Mann mit gepflegtem Bart, der seinen Namen nicht in der Zeitung sehen will. Hier kämen auch viele Besucher aus Deutschland, Holland und Belgien.
Er steht für die polnische Tradition von vor dem Zweiten Weltkrieg, als in Polen ein freieres Waffenrecht herrschte. Damals habe der Vater dem Sohne den Kampf mit dem Säbel wie das Schießen beigebracht. Wie auch hier – die nächsten Kunden sind Vater und Sohn, letzterer ist höchstens zwölf.
Der kommerzielle Schießraum im Süden Warschaus hat Ausbilder, die das Schießen wirklich können mussten. So hatte es Pawel Zbiora zu seiner Dienstzeit in einer Spezialeinheit der Polizei mit „den schlimmsten Verbrechern Polens“ zu tun.
Er trägt darum eine Pistole am Holster, einer der wenigen in Polen, die eine Waffe zur Selbstverteidigung führen dürfen. Denn an der Weichsel sind die Bedingungen hierzu ähnlich streng wie in Deutschland für den Waffenschein oder den Waffenpass in Österreich.
Die nationalkonservative Regierung fördert das Schießen, jedoch in der von ihr geregelten Bahnen. So bei den „Territorialkräften“, eine Art Freiwilligenarmee. Eine Brigade bei Warschau vermeldet seit Kriegsbeginn siebenfach mehr Interessentinnen und Interessenten. Die Wehrpflicht wurde 2009 in Polen zwar abgeschafft, nun drängt das Verteidigungsministerium auf ein obligatorisches Üben mit dem Gewehr auf der Oberschule.
Wer das Schießen außerhalb der Dienste intensiv üben will, fährt zum Schießplatz Marynino 30 Kilometer nördlich von Warschau, nach eigenen Angaben der größte des Landes.
Schon aus vierhundert Meter Entfernung bellen hier die Schüsse und der Taxifahrer mag die Fahrt zu der Anhöhe nicht mehr fortsetzen – der holperigen Strecke wegen.
„Das Schießen nutzt doch nichts“ meint der kräftig gebaute Mittvierziger mit Kosakenfrisur, der auf der Beifahrersitz seines Mercedes eine Angel gelehnt hat. „Die Russen kommen und der Westen und Skandinavien wird nur sich selbst helfen, aber uns nicht. Mein Opa war in Sibirien (im Lager).“
Über einen halben Kilometer erstreckt sich das Gelände, ein riesiger Sandkasten für das Spiel mit dem Ernstfall. Wenn das Geknalle kurz Pause macht, sind die Gesänge des Zilpzalp und des Buchfinks aus dem umliegenden Kiefernwald zu hören.
Eine kleine Holzhütte bildet das Büro mit vier Männern und einer Frau in Tarnfarbengrün, davor stehen viele Mittelklasse-Autos, einige davon sind Pickuptrucks, dazu ein selbstgebastelter Minitiaturpanzer.
Heute hat die „Schulung Grom“ viele Schießstände gebucht. „Grom“, zu Deutsch „Donner“ ist der Name einer polnischen Spezialeinheit und einige der ehemaligen Elitesoldaten mit Erfahrungen bei Auslandseinsätzen unterrichten hier. Gefechtsschießen vermitteln sie - etwas, das sie auch aus der Praxis kennen.
Auch hier gilt - die 21 Schießplätze wie die Schulungsfirma sind über lange Zeit ausgebucht.
Auf einem der kleineren Schießplätze , der mit seinen alten Autoreifen und den Sandmauern ein wenig nach Nahost-Kriegsschauplatz ausschaut, üben fünf männliche Kunden das effektive Treffen. Das Ziel ist wieder der Mann mit Hut auf einem Holzständer gepinnt.
Lukasz, aktiver Soldat der Spezialeinheit JWK, korrigiert die Körperhaltung seiner Schützlinge, welche das amerikanische Sturmgewehr AR-15 in den Händen halten. Zum ersten Mal, wie die Männer zwischen 30 und 50 Jahren später gestehen.
Grzegorz, 36 Jahre alt und Familienvater übt definitiv des Krieges wegen und er will wieder kommen und besser werden. Auch Pawla, vom Ausbilder am meisten gelobt, hat das gleiche Motiv. Der ukrainische Informatiker, der für eine amerikanische Firma arbeitet, lebte vor kurzem auf Bali und will nun mit seiner Frau in der Nähe seiner Heimat sein. „Ich habe gesundheitliche Probleme“ entschuldigt er sein Fehlen als Kombattant in der Ukraine.
Dann lernen die Fünf das Schießen gegen zwei Personen, „den Lauf vor dem zweiten Schuss nach dem Schwenk abbremsen“ erklärt Lukasz - zwei Papiergegner werden hintereinander von den Kugeln durchlöchert, die im Sandhügel enden.
Und auch von „Neutralisieren“ war die Rede. In Afghanistan sei er dreimal gewesen so der Ausbilder, der sein Gesicht nicht zeigen will; wie auch Marcin nicht, der bereits pensionierte Veteran vieler Auslandseinsätze polnischer Spezialeinheiten. Er leitet mit ruhiger Stimme den Pistolenkurs - eine Waffe, die anspruchsvoller als das Gewehr sei. Aber es sei zu erlenen, so wie das Fahrradfahren.
Bei der Pause wird Deutschland von den männlichen Teilnehmern ins Visier genommen, beziehungsweise warum die Regierung in Berlin denn so zögere, der Ukraine schwere Waffen zu liefern. Auch ein Scholz-kritischer Text aus der „Welt“ ist ihnen geläufig.
Im Osten das unberechenbare Russland, im Westen das unzuverlässige Deutschland, die geopolitische Misere Polens, scheint hier wieder durch, auch wenn der Ton freundlich ist. „Was denkt ihr denn darüber, seid ihr nicht beunruhigt, ist das für euch zu weit weg?“ so die Fragen der Schützen.
Zum Schluss werden noch Körperhaltungen und Drehungen geübt, dann ist der Sandboden übersät mit mehreren hundert Patronenhülsen. Feierabend.
„Ich könnte nie auf einen Menschen schießen“ meint Pawel, der beste unter den fünf recht jungen Männern zu dieser Zeitung, während er mit den anderen zum überdachten Stand der Schulung geht, um die durchsichtige Ikea-Box mit der Glock 17 Pistole und den Magazinen abzugeben. Der Satz klingt wie ein Appell an die nahe Zukunft, während es von den anderen Schießplätzen her knallt, wo auch einige Frauen zu sehen sind.
Amerikanische Verhältnisse was das Waffengesetz betreffe wolle hier niemand, so erfährt der Autor dieser Zeilen beim Gespräch mit den Ausbildern, doch die Situation in der Ukraine legitimiere ihre Arbeit.
Zum Abschluss des Tages gönnen sich Krzysztof, ein ehemaliger Oberst, und Artur, beide um die 50, eine Zigarillo neben der Büro-Baracke. Aus Litauen sei für den nächsten Tag eine große Gruppe angemeldet und viele Ukrainer trainierten hier, seit der Invasion, so die Mitarbeiter des Schießgeländes.
Die Menschen im Westen sollen mehr auf das hören, was die Menschen im Osten erlebt haben. Auch Artur verweist auf seinen Opa, der in einem sowjetischen Lager war. Er habe die Russen nur mit einem langgestreckten Schimpfwort bedacht, das hier nicht übersetzt werden soll. Krzysztof, der pensionierte Offizier greift erklärend ein: „Verstehen sie uns nicht falsch, wir haben nichts gegen die Russen, wir kennen sie einfach nur.“
Veröffentlicht Ende April 2022 in Rheinische Post, Kurier

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